Pferdegestütztes Coaching

Gänsehaut: Geduld

Gänsehaut

Dieses Wort kommt in meinem Vokabular häufig vor, wenn ich von meiner Tätigkeit und die damit verbundenen Erlebnisse als Pferdegestützte Coach berichte.
Immer wieder gibt es Momente und Situationen, in denen für den Coachee und mich so viel sichtbar und klar wird, weil die Pferde direkt und authentisch auf uns Menschen, unser Handeln und vor allem unser Fühlen, reagieren

Mit der Serie „Gänsehaut“ möchte ich auf verschiedenste Erlebnisse in meinen Settings eingehen und davon berichten. <

Heute geht es um Sarah (natürlich ist dies ein

geänderter Name).
Sarah ist ein 8-jähriges Mädchen, welches das sechste Mal bei mir und den Pferden war.
Ihre Mutter hatte sich vor ein paar Wochen bei mir gemeldet. Ihr wurde von Sarahs Lehrerin meine Kontaktdaten gegeben, mit dem Hinweis, sie solle mal was mit Sarah machen.
Im Vorgespräch versuchte ich zu erfragen, warum denn bei dem Mädchen ein Förderbedarf erkannt wurde. Zuhause sei sie ein sehr liebes Mädchen, verstehe sich gut mit der kleineren Schwester.
Einzig in der Schule kommt es immer wieder mit Mitschülern zu Konflikten und Sarah findet irgendwie keinen Anschluss, im Gegenteil, es war schon von Mobbing die Rede.

Sarah und ich lernten uns kennen.
Ein zurückhaltendes, freundliches Mädchen stand bei mir auf dem Hof und wirkte sehr offen für die Begegnung mit dem Pferd.
Das erste Setting gestalte ich meist so, dass die Kinder mit verschiedensten Situationen konfrontiert werden. So kann ich sie erleben, wie sie auf die diversen Gefühle, welche dabei ausgelöst werden, umgehen.
Es ist zum Beispiel nicht nötig, dass ein Kind seine Frustration, Enttäuschung oder Ungeduld schon nach Außen zeigt, die Pferde erspüren es immer früher, quasi schon im Aufkeimen.
Ungeduld war so dominierend in diesem ersten Setting.
Sobald etwas nicht funktionierte, wie Sarah es sich vorstellte, agierte sie umgehend mit Kraft und großer Verbissenheit.
Das Pferd setzte dem Kraft und Sturheit entgegen. Das Schöne an Pferden ist, dass sie sich absolut nicht auf eine Zusammenarbeit mit Menschen einlassen, wenn diese mit Emotionen agieren, die in einem Vorwärtsprozess hinderlich sind.
Am auffälligsten bei Sarah war aber ihre Konzentrationsfähigkeit.
Auch aus sicherheitstechnischen Gründen können wir die Pferde nur mit beidem Händen am Seil führen und dürfen keine Schlaufen um die Hände wickeln.
Sarah konnte dies nur für ganz kurze Zeit durchhalten, dann wechselte sie die Position der Hände, fing an, das Seil aufzuwickeln und Schlaufen zu drehen.
Immer wieder musste ich in den Prozess eingreifen, um die Sicherheit zu gewähren.
Dies steigerte natürlich Sarahs Ungeduld, die doch endlich mal das Pferd um die Hütchen, welche ich ihr hingestellt hatte, herumführen wollte.

Um einen guten Abschluss zu finden unterstützte ich Sarah dabei.
Mit der Mutter vereinbarte ich im Nachgespräch Sarah zuhause in Aufgaben einzubinden, welche in kleinen Schritten erreichbar sind und die Erfolge deutlich und zügig spürbar werden.
Sarah kam wieder und wir blieben erstmal beim Thema Konzentration.
Es wurde von mal zu mal einfacher für Sarah mit dem Pferd zu gehen und Übungen zu absolvieren. Sie war angekommen und wurde auch von meinen gelegentlichen Hinweisen auf die Sicherheit nicht mehr aus dem Prozess gerissen.
Zwischenzeitlich wurde Sarah auch bei einem Psychologen vorgestellt.
Dort musste sie bei einem Test auf einer Linie laufen. Es gelang ihr wohl nicht so gut. Der Psychologe gab ihr zu verstehen, dass sie es nicht so machte, wie sie sollte. Es machte sie wütend, so ihre Beschreibung.
Diese Begegnung war für das Mädchen auf jeden Fall so eindrucksvoll, dass sie mit der Erzählung davon, schon beim Pferd putzen, rausplatzte.
Ich ließ Sarah die Übung, die sie in diesem Test machen sollten, auf dem Sandplatz nachbauen.
Natürlich sollte auch das Pferd eingebunden werden.
Sarah baute eine sehr enge Gasse mit Stangen und wies mich darauf hin, dass sie dies auf keinen Fall schaffen würde und das Pferd passt auch nicht durch.
Ich denke, es kommt schon eine Ahnung auf, dass das keine optimalen Vorraussetzungen für einen Erfolg waren.
Zum einen Sarahs ausgeprägter Pessimismus, zum anderen das Verhältnis großes Pferd, kleiner Durchgang.
Aber Sarah wollte es versuchen. Und wie! Nach allerkürzester Zeit stellte das Pferd die Zusammenarbeit komplett ein und ließ sich keinen Zentimeter mehr bewegen.
Sarah versuchte mit Kraft und verbalen Drohungen, das Pferd zum weiterlaufen zu bewegen.
Wie ging es ihr dabei? Wie fühlt sich so eine Situation für sie an?
„Wie bei dem blöden Arzt“ war ihr Kommentar auf meine Frage.
Wie hätte der Arzt denn sein sollen, dass sie ihn nicht blöd findet?
„Weiß ich nicht“ so Sarah.
Wenn du jetzt diese Übung noch einmal anfängst, was könntest Du tun, dass das Pferd nicht alles doof findet und mit macht?

Freundlich sein? Sarahs Vorschlag klang gut. Aber es genügt eben nicht, die Mundwinkel nach oben zu ziehen und freundlich zu schauen.
Der nächste Versuch scheiterte. Das Pferd rührte sich nämlich wieder kein Stück.
Ich stellte Sarah die Frage, was eigentlich passiert, wenn sie die Übung gar nicht schaffen würde.
„Ja nix passiert. Es ist doch egal, wenn es nicht klappt.“
Das stimmte wohl und ich bestätigte Sarah ihre Einschätzung. Wenn es doch gar nicht so wichtig wäre, könne man es auch mal so angehen.
Und nochmal fragte ich nach, wie hätte den der Arzt reagieren sollen, dass die Übung bei ihm klappen hätte können.
Geduldig.
Ok, dann versuchen wir das nun mal mit Geduld und lassen von der Meinung ab, dass es unheimlich wichtig ist, diese Übung zu schaffen.

Sarah wirkte schon so erleichtert, das Pferd schnaubte ab und dann legten sie los.
Es war ein Kinderspiel. Mit Leichtigkeit und wirklich mühelos manövrierte Sarah das Pferd durch diese schmale Gasse. Es gab kein Zögern und kein Stopp dabei.
Unglaublich stolz war sie auf sich und freute sich über ihren Erfolg.
Das war mein Gänsehaut Moment.
Eine Situation, die sich mit Starre, Motivationslosigkeit und Verweigerung durch das Pferd zeigte, wurde so verändert, dass Sarah in Bewegung und mit Leichtigkeit zum Erfolg kam.
Diese Erlebnisse sind für die Coachees so einprägsam und wertvoll.
Es bleibt für die Eltern und mich die Aufgabe, das Erlebte und Erlernte in den Alltag zu transferieren und zu verankern.
Ich bin dankbar und glücklich Menschen auf diese Weise begleiten zu dürfen.

Anmerkung:

Im Pferdegestützten Coaching wird auch sehr genau darauf geachtet, dass dem Pferd kein Schaden zugefügt wird. Es wird immer vorher eine Stopp Regel besprochen, die das Pferd vor einer unangemessenen Behandlung schützt.
Es gibt Fälle, da tragen die Pferde kein Halfter oder ein dehnbares Halfter um vorab ein Kräftemessen zu unterbinden.

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